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Ontologie, Metaphysik und Erkenntnistheorie Die Stellung des Denkens zur objektiven Realität Seinslogik I Zur Begriffsbestimmung: Was ist Ontologie und Metaphysik? Die Widerspruchsfreiheit und die fundamentale Unterscheidung: Wesen und Erscheinung
1. Stellung des Denkens zur objektiven Realität: Die Welt als Widerspiegelung im Bewusstsein
2. Stellung des Denkens zur objektiven Realität: Die Konstruktion der Welt aus dem Bewusstsein
Seinslogik II
3. Stellung des Denkens zur objektiven Realität: Dialektische Vermittlung von Bewusstsein und objektiver Realität
Zur Begriffsbestimmung: Was ist Ontologie und Metaphysik? Prinzipien, die einzelne Gegenstände des Denkens leiten, z.B. die Regeln der Medizin den Bereich von Krankheit und Gesundheit, müssen wiederum höhere Regeln haben, z.B. die physikalischen, die sie begründen usw., so dass man zu den allgemeinsten Regeln oder Prinzipien kommt, über die es keine weiteren Prinzipien (ein Erstes) gibt. Ebenso kann man in der Abstraktion von konkreten Bestimmungen bei den Begriffen zu immer abstrakteren Begriffen kommen. Der abstrakteste Begriff ist demnach das Seiende. Das Seiende hat keine weiteren Bestimmungen mehr, als das es ist. Fügt man diesem Seienden nun die Kategorien hinzu, die obersten Gattungen des Seienden, die keine weitere Gattung mehr über sich haben, wie z.B. Substanz, Qualität, Quantität, Kausalität, Raum und Zeit u.a., dann hat man einen Gegenstandsbereich, den Aristoteles das Seiende als solches nennt. Da wir in unseren konkreten Erkenntnissen diese Begriffe des Seienden als solches immer schon mitdenken, so folgt daraus, dass die logischen Beziehungen der allgemeinsten Begriffe auch die Logik der ihr untergeordneten Begriffe bestimmen. So beinhaltet z. B. die Kategorie der Kausalität die Regel: Einer Ursache folgt mit Notwendigkeit eine Wirkung. Lasse ich einen Stein fallen, dann fällt er mit Notwendigkeit auf die Erde, wenn keine Gegenkraft wirkt. Also denke ich bei jedem naturgesetzlichen Ursache-Wirkungs-Verhältnis die Kategorie Kausalität; ohne Kategorien wäre für das Bewusstsein die Welt außer uns nicht begrifflich zugänglich. Die Philosophie nun, die sich mit den logischen Beziehungen der abstraktesten Begriffe befasst, nennt Aristoteles Erste Philosophie. Hat man diese begriffen, dann hat man auch die allgemeinen Beziehungen aller darunter befassten Dinge erfasst. Da die Schriften des Aristoteles lange verschollen waren, hat derjenige, der sie wieder entdeckt hat, alle Manuskripte, die zur Ersten Philosophie gehörten, nach der Physik (griech.: meta ta physika) eingeordnet. Deshalb heißt die Erste Philosophie auch "Metaphysik". Der Begriff Ontologie ist später den Gegenständen der Philosophie gegeben worden, die direkt das außerbewusste Sein (griech.: on = Sein) bedeuten sollten. Damit dieses schlüssig gedacht werden kann und nicht mit Bestimmungen verwechselt wird, die allein aus dem Bewusstsein kommen, ist das Denken gezwungen nicht nur den Gegenstand des Denkens zu reflektieren, sondern auch seine Beziehung zum Gegenstand. Philosophie ist deshalb immer zugleich auch Selbstbewusstsein. Schon bei Aristoteles ist das Denken des Denkens Voraussetzung von wahren Resultaten des philosophischen Erkennens. Eine moderne Gestalt dieses Selbstbewusstseins ist die Erkenntnistheorie, welche die Erkenntnisweise selbst zur Wissenschaft erhebt. Zwei zentrale Lehrstücke der Metaphysik sind einmal die Reflexion des Verhältnisses von Denken und objektiver Realität, zum anderen die fundamentale Unterscheidung von Wesen und Erscheinung.
Die Widerspruchsfreiheit und die fundamentale Unterscheidung: Wesen und Erscheinung Mit der Erkenntnis, dass Widerspruchsfreiheit die notwendige Voraussetzung jeder rationalen Argumentation ist, trennte sich in der Antike das Denken vom Mythos. Aber noch heute wird im Irrationalismus die Tatsache, dass bestimmte Gegenstände noch nicht begriffen sind, verabsolutiert und gegen jede Art rationaler Erklärung gewendet. Dass jeder Gegenstand, der neu ins Blickfeld des Menschen tritt, zunächst nicht unter dem Prinzip der Widerspruchsfreiheit stehen kann, ist kein Argument für widersprüchliches Denken, sondern fordert die widerspruchsfreie Identifikation des Gegenstandes, damit er uns nicht ein fremder bleibe, dem wir blind ausgesetzt wären. Aristoteles hat als erster den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch als logisches und ontologisches Prinzip untersucht. "Ein Prinzip, welches jeder notwendig besitzen muß, der irgend etwas von dem Seienden erkennen soll, ist nicht bloße Annahme (Voraussetzung, Hypothese), und was jeder erkannt haben muß, der irgend etwas erkennen soll, das muß er schon zum Erkennen mitbringen. Daß ein so beschaffenes Prinzip das sicherste unter allen ist, leuchtet ein; welches aber dies ist, wollen wir nun angeben. Daß nämlich dasselbe demselben in derselben Beziehung (und dazu mögen noch die anderen näheren Bestimmungen hinzugefügt sein, mit denen wir logischen Einwürfen ausweichen) unmöglich zugleich zukommen und nicht zukommen kann, das ist das sicherste unter allen Prinzipien; denn es paßt darauf die angegebene Bestimmung, da es unmöglich ist, daß jemand annehme, dasselbe sei und sei nicht." (Aristoteles: Metaphysik, 1005 b) Dieses Prinzip bedarf keines direkten Beweises. Es ist Voraussetzung jeder Argumentation. Wird es nicht beachtet, so ist überhaupt keine Verständigung möglich. "Manche verlangen nun aus Mangel an Bildung, man solle auch dies beweisen; denn Mangel an Bildung ist es, wenn man nicht weiß, wofür ein Beweis zu suchen ist und wofür nicht. Denn daß es überhaupt für alles einen Beweis gebe, ist unmöglich, sonst würde ja ein Fortschritt ins Unendliche eintreten und auch so kein Beweis stattfinden. Wenn aber für manches kein Beweis gesucht werden darf, so möchten sie wohl nicht angeben können, was sie denn mit mehr Recht für ein solches Prinzip halten wollten. Doch ein widerlegender Beweis für die Unmöglichkeit der Behauptung läßt sich führen, sobald der dagegen Streitende nur überhaupt redet; wo aber nicht, so wäre es ja lächerlich, gegen den reden zu wollen, der über nichts Rede steht, gerade insofern er nicht Rede steht; denn ein solcher ist als solcher einer Pflanze gleich. (...) Der Ausgangspunkt bei allen derartigen Diskussionen ist (...), (daß jemand) im Reden etwas bezeichne für sich wie für einen anderen; denn das ist ja notwendig, sofern er überhaupt etwas reden will. Wo nicht, so hätte ja ein solcher gar keine Rede, weder zu sich selbst noch zu einem anderen. Gibt jemand einmal dies zu, so läßt sich ihm auch die Wahrheit des Axioms erweisen; denn es ist dann schon etwas fest bestimmt." (A.a.O., S. 1006 b) Der "oberste Grundsatz" der Philosophie und damit jeder Argumentation hat Implikate. Da ist zunächst der Begriff des Widerspruchs selbst, der sich nur durch kontradiktorische Merkmale bestimmen lässt (etwas kommt einem anderen zu und zugleich nicht zu). Da dieser Begriff notwendig ist zur Vermeidung widersprüchlicher Begriffsbestimmung, ist jede rationale Argumentation in Dialektik fundiert: Widerspruchsfreiheit lässt sich nur erreichen durch das Denken von Widersprüchen. So ist der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch selbst widersprüchlich; gilt: A ist A und nicht B (wenn A von B unterschieden ist), dann wird zugleich die Identität und Nichtidentität zwischen Subjekt und Prädikat behauptet. Andernfalls könnte man bloß: A ist A, sagen, die reine Tautologie, aus der nichts folgt. Jedes nicht-tautologische universale Urteil, das die Form wissenschaftlicher Urteile ist, hat diesen Widerspruch an sich. (Vgl. P. Bulthaup: Idealistische und materialistische Dialektik, S. 129 f.) Erschlossene Widersprüche schließen die Widerspruchsfreiheit nicht aus, sondern dieser Satz des zu vermeidenden Widerspruchs ist aller erst Voraussetzung, den Gegenstand so weit rational zu reflektieren, dass seine Widersprüchlichkeit das notwendige Resultat der Argumentation ist. Dialektik, als das Begreifen von Widersprüchen, ist demnach die einzige rationale philosophische Methode. Weitere logische Implikationen sind der Satz der Identität, der Satz des ausgeschlossenen Dritten und die Einheit des Bewusstseins, ohne die überhaupt kein Widerspruch denkbar wäre. (Vgl. Gaßmann: Logik, S. 144 - 157) Der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch hat aber auch bezogen auf die Gegenstände des Denkens Konsequenzen. Damit nicht gegen ihn verstoßen wird, muss in einer Rede oder Argumentation 1. überhaupt etwas behauptet werden (siehe oben); ein Etwas muss 2. als seiend bezeichnet werden. Denn ist der behauptete Gegenstand nicht seiend, auch dann hat die Rede keinen Gegenstand. Die einfache Frage, was ihr Gegenstand sei, überführt manches philosophische Räsonieren in gegenwärtigen Publikationen der Gegenstandslosigkeit. Bei einem zunächst nur möglichen Gegenstand (z.B. eine sozialistische Gesellschaft) setzt die Forderung nach dem Sein des Gegenstandes voraus, dass die Elemente dieses Gegenstandes als seiend angegeben werden können. Weiter muss ein Etwas nicht nur überhaupt und als seiend behauptet werden, es muss 3. auch als etwas Bestimmtes behauptet werden. Denn werden einem Subjekt keine bestimmten Prädikate beigelegt, kann sich jeder etwas anderes darunter vorstellen, also auch Kontradiktorisches. Die aristotelische Metaphysik reflektiert diese ontologischen Implikationen der logischen Formen, deren Vergessen zum Irrationalismus führen muss. Die heutige formalistische Logik sieht davon ab, ob sie etwas Seiendes logifiziert oder welche Bestimmungen dies Seiende hat. Ließe sich tatsächlich die logische Form so radikal von ihrem Inhalt trennen, der Bestimmung von Seiendem ist, wie die formalistische Logik behauptet, dann gäbe es keinen Zusammenhang mehr zwischen den logischen Formen und dem, was sie logifizieren, die Rede wird gegenstandslos, verkommt zur bloß instrumentellen Vernunft, deren Anwender kein Selbstbewusstsein über ihr Tun haben. Der Satz des zu vermeidenden Widerspruchs erzwingt schließlich 4. die Unterscheidung zwischen Substanz und Akzidenz, Wesen und Erscheinung. Wenn alles nur akzidentell wäre, so gäbe es gar nichts Erstes, wovon etwas ausgesagt wird. Es liefe auf einen unendlichen Progress hinaus, bei dem ein Akzidenz ein anderes bestimmte und so fort, ohne dass ein Gegenstand bezeichnet wird. Zum Beispiel wäre die Definition des Menschen durch die Akzidenzien Ort und Zeit auch bei lückenloser Angabe nicht möglich, da Orts- und Zeitbestimmungen nichts darüber aussagen, was sich da bewegt, welches Subjekt die Orte und Zeiten durchläuft. Auch die Kombination von Merkmalen als Ersatz für das Wesen der Dinge, der logische Positivismus versucht dies, bestimmt keinen Gegenstand ausreichend, da kein Unterschied zu anderen möglichen Kombinationen angebbar ist. Eine Kombination von Merkmalen bzw. Erscheinungen bestimmte nur dann das Wesen eines Gegenstandes, wenn es mit diesem Wesen zusammenfiele. Das Wissen um das Zusammenfallen setzt aber bereits die Kenntnis des Wesens voraus. (Vgl. hierzu Erinnyen Nr. 2, S. 47 - 60)
1. Stellung des Denkens zur objektiven Realität: Die Welt als Widerspiegelung im Bewusstsein Dem Bewusstsein sieht die von ihm unabhängige Welt, die von unveränderlichen Gesetzen beherrscht wird, zunächst als etwas Fremdes an, das es erkennen möchte. Als Quellen seiner Erkenntnis sind schon früh die Wahrnehmung und das Denken von Begriffen (Verstand) erkannt worden. So sagt der Aristoteliker Thomas von Aquin: "Nehmen wir nun statt der Erde das Bild der Erde nach der Lehre des Aristoteles de anima (3, 8. 431 b 29), der erklärt, nicht der Stein sei in der Seele, sondern das Bild des Steines, so wird folgen, daß die Seele durch die Gedankenbilder die Dinge erkennt, die außerhalb der Seele sind." (Cont. Gent. lib. 2, cap 75.) Wir nehmen mit unseren fünf Sinnen unsere Welt wahr und verallgemeinern diese Wahrnehmung zu Begriffen. Erweisen sich diese Begriffe als richtig, dann haben sie das Wesen eines Gegenstandes erkannt. So kann ich z.B. beim Menschen von seinen individuellen Formen wie Haartracht, Hautfarbe, dieses oder jenes Muttermal usw. abstrahieren und nur seine allgemeinen Eigenschaften hervorheben: ein Kopf, vier Gliedmaßen, Sprechfähigkeit, Lachen, abstrakt Denken u.a. Diese allgemeinen Eigenschaften wurden zum Wesen (Ousia) einer Art von Gegenständen zusammengefasst. Habe ich meine Welt mit Hilfe solcher Wesensbegriffe erkannt, dann erscheint sie als eine begriffliche Widerspiegelung im Bewusstsein. Dass die anschauliche und begriffliche Widerspiegelung der Welt auch mit dieser Welt übereinstimmt, Wahrheit ist hier die Übereinstimmung von Begriff und außermentaler Sache, kann ich nur sicher annehmen, wenn unser Bewusstsein und die Welt außer uns die gleiche Struktur haben. Da ich aber nicht den Stein in mein Bewusstsein pressen kann, sondern immer nur sein Bild in mir habe, muss ich darauf vertrauen, dass dieses Bild mir die Welt auch wirklich wiedergibt. Dieses Vertrauen fand die traditionelle Widerspieglungstheorie in Gott. Da dieser Schöpfergott ist, hat er sowohl die Welt außer mir als auch mein Bewusstsein, mit dem ich diese Welt erkenne, geschaffen. Beide sind kompatibel, ich kann die Welt mittels Wahrnehmung und Denken prinzipiell erkennen. (Was nicht heißt, jede Erkenntnis sei richtig, sondern nur, dass die prinzipielle Möglichkeit zur wahren Erkenntnis uns gegeben ist.)
Kritik der Widerspieglungsthese Th. v. Aquin geht von der Voraussetzung aus, dass Gott die Welt geschaffen hat und dass sie deshalb prinzipiell vernünftig sei (d.h. unter anderem dem menschlichen Verstand durch Beobachten und bloßes Nachdenken zugänglich). Da Gott aber eine "einfache Substanz" sein soll, d.h. ein geistig existierendes Wesen, müsste aus dem Geist ein Materielles (Stoff) entstanden sein. Der Grund wäre geistig, die Folge materiell. Dies widerspricht nicht nur dem Satz von der Erhaltung des Stoffes. Vertrete man diese These, dann wäre das Verhältnis von Grund und Folge ad absurdum geführt. Denn ließe man einen geistigen Grund, der ein Materielles schaffen würde als Folge zu, wäre die Vernünftigkeit unseres Denkens außer Kraft gesetzt, jeder Unsinn ließe sich begründen. Mit der Negation der Vernünftigkeit unseres Denkens wäre aber auch die vernünftige Begründung der Schöpfungstheorie negiert. Die Garantie der Übereinstimmung von Gegenstand und Abbild entfällt. Welche Subjekte mit welchen Interessen bestimmen aber dann die Übereinstimmung? Der Sowjetmarxismus, von Lenin ausgehend, vertrat eine solche Widerspiegelungstheorie ohne Gott. Dort war es die Partei, die dessen Rolle einnahm ("die Partei hat immer recht") und kläglich scheiterte. Tatsächlich wurde mit der These von der Widerspiegelung der Welt im Bewusstsein nur der traditionelle Stand der Erkenntnis begründet, nicht aber eine wahre Theorie des Verhältnisses von Denken und objektiver Wirklichkeit geschaffen. Bereits in der Philosophie des Thomas von Aquin deutet sich eine produktivere Rolle des Bewusstseins an als in dem vorangehenden mehr kontemplativen Neoplatonismus.
2. Stellung des Denkens zur objektiven Realität: Die Konstruktion der Welt aus dem Bewusstsein Voraussetzung für eine neue Stellung des Denkens zur außerbewussten Welt war nicht nur die innerphilosophische Kritik. Mit dem Aufstieg der Städte und der Eroberung der Welt durch das Handelskapital kam in der Frühneuzeit in die Gesellschaft Europas eine Dynamik, die das philosophische Denken nicht unbeeinflusst lassen konnte. Auch die Philosophie beruht - wenn auch vermittelter als die empirischen Wissenschaften - auf Erfahrung. Erfahrung ist die Zusammenfassung der Wahrnehmungen zu einer Erkenntnis, die sich dann wieder an der Wahrnehmung berichtigt usw., bis sie zu einer begrifflich stimmigen Erkenntnis gelangt ist. Philosophie in diese Rücksicht ist die Zeit in allgemeinsten Begriffen zum Bewusstsein gebracht. Im kopernikanischen Weltbild, das sich allmählich durchsetzte, hatte die Philosophie ein Modell der Erkenntnis, das auf Konstruktion beruhte und nicht auf der Verallgemeinerung von Wahrnehmungen. Denn dieses Weltmodell ist nicht wahrnehmbar. Man musste auf den Kopf gehen lernen, um es zu begreifen. (Rationalismus)
Die Kategorien der aristotelischen Tradition waren in der Spätscholastik immer mehr dogmatisiert worden und zum toten Lehrgegenstand geworden. Die Denker, die sich den neuen Erfahrungen aufschlossen und sich nicht weigerten, durch das Galileische Fernrohr zu schauen, wandten sich von diesen scheinbar toten Lehrinhalten ab und der erfahrbaren Wirklichkeit zu. Die Kategorien der scholastischen Tradition wurden als Scheinbegriffe denunziert. Was jetzt gelten sollte, war allein die Empirie, die erfahrbare Wirklichkeit. Lieferten die Einzelwissenschaften wie die Astronomie und die Physik immer neue Ergebnisse, so gab die neue Philosophie, die entstand, dafür das Selbstbewusstsein und die Legitimation. Es entstand der Empirismus. Schon im Ausgang des Mittelalters setzte sich eine bestimmte Sprachauffassung durch, die in den Allgemein-Begriffen (Universalien) nicht mehr die Erfassung außermentaler Substanzen sah, sondern eine von unseren Interessen bestimmte Zusammenfassung von wahrnehmbaren Merkmalen. Dieser Nominalismus beruhte auf der Kritik am Universalienrealismus der platonischen und aristotelischen Tradition. Wenn ein Universale das substantiale Wesen der Einzeldinge einer Art ist und zugleich als Universales (die Artallgemeinheit), dann ist es zugleich Eines und Vieles, denn es hätte Anteil an den Einzeldingen und wäre zugleich von ihnen (als Art-Begriff) getrennt. So kann eine Stute immer nur ein Fohlen gebären, kein Kalb und kein Hundewelpen. In der Stute muss also etwas Universales (Allgemeines) sein: die "Pferdheit". Die Pferdheit wäre demnach die allgemein Substanz der Stute. Als Pferdheit wäre sie ein Einzelnes und zugleich ein Allgemeines, da Pferdheit in allen Pferden sein soll. Das aber ist ein Widerspruch, der nicht akzeptiert werden kann. Ist ein Wort aber nur ein allgemeiner Name, also ein Zeichen, das allein in unserem Bewusstsein existiert und bloß Merkmale der Dinge zusammenfasst, dann ist dieser Widerspruch des Universalienrealismus scheinbar behoben. Eine Konsequenz des Nominalismus war: es existieren nur Einzeldinge, aber keine Allgemeinheiten im extramentalen Bereich. Zerfällt der mittelalterliche Kosmos der abgestuften Allgemeinheiten von Gott bis zu den toten Steinen in lauter Singularitäten, dann ist es konsequent, sich diesen Singularitäten zuzuwenden, also diese empirisch zu erforschen. So folgt auch innerphilosophisch der Empirismus konsequent aus der Kritik der mittelalterlichen Weltauffassung. Basissatz des Empirismus ist folgender: Nichts ist im Verstand, was vorher nicht in den Sinnen war. Die Wahrnehmung entsteht durch die Bewegungen, die die außerbewussten Objekte in uns hervorrufen. Was von der extramentalen Welt noch als objektiv gelten gelassen wurde, sind Bewegung und Masse und ihre jeweiligen Quantitäten. Durch die Anregung der Objekte machen wir uns subjektiv Anschauungen im Bewusstsein. Aus diesen Anschauungen bzw. Vorstellungen konstruieren wir dann den Gegenstand nach unseren Interessen. War für die Wiederspiegelungsthese der Zucker an sich süß, nicht nur auf unserer Zunge, sondern im Zucker selbst, so wird Süße jetzt zu einer bloß subjektiven Empfindung. Ebenso gilt dies für die Wahrnehmung der Farbe, die nach der Ansicht der modernen Physik lediglich eine elektromagnetische Schwingung ist. Man hat von der Dequalifizierung der Natur gesprochen. "Alle diese Qualitäten, die sinnlich genannt werden, stellen in dem Objekt, das sie verursacht, nichts anderes dar als lauter verschiedene Bewegungen der Materie, durch die es auf unsere Organe verschiedenartig drückt. Sie sind auch in uns, auf die ein Druck ausgeübt wird, nichts anderes als entsprechend viele Bewegungen, denn eine Bewegung bringt nichts anderes hervor als Bewegung. Aber ihre Erscheinung ist für uns Vorstellung, im Wachen wie im Träumen." (Hobbes: Leviathan, S. 12) Der Verstand konstruiert die Realität nach den beliebigen Interessen der Subjekte mit Hilfe der Regeln der Mathematik, d.h. rein quantitativ, lediglich auf der Basis der Erscheinungen, die die extramentalen Gegenstände in uns hervorrufen. Im Nominalismus und Empirismus erkennt das menschliche Denken zum ersten Mal die entscheidende Rolle der menschlichen Subjektivität bei der Erkenntnis. Die Erkenntnisweise und mit ihr die Erkenntnistheorie rückt damit in den Mittelpunkt des Interesses der Philosophie. Wir sind es, die unsere Welt begrifflich konstruieren. Wir bilden nicht nur eine von göttlichen Mächten für uns gemachte Welt ab. Auch unser Denken enthält keine eingeborenen Ideen - so schon Platon -, sondern auch die nichtempirischen Begriffe (Ideen) sind Leistungen der menschlichen Subjektivität.
Kritik des Empirismus Schon Zeitgenossen wie Leibniz hatten die Fehler des Empirismus erkannt. Wenn nichts im Verstand sein soll, was vorher nicht in den Sinnen war, woher - so fragt er - kommt dann der Verstand? Dieser ist ein Denkvermögen, das Allgemeinheiten beinhaltet, also nicht etwas Sinnliches oder sinnlich Wahrnehmbares. "Die Grundtäuschung im wissenschaftlichen Empirismus ist immer diese, daß er die metaphysischen Kategorien von Materie, Kraft, ohnehin von Einem, Vielem, Allgemeinheit, auch Unendlichem usf. gebraucht, ferner am Faden solcher Kategorien weiter fortschließt, dabei die Formen des Schließens voraussetzt und anwendet und bei allem nicht weiß, daß er so selbst Metaphysik enthält und treibt und jene Kategorien und deren Verbindung auf eine völlig unkritische und bewußtlose Weise gebraucht." (Hegel: Enzyklopädie, § 38) Die modernen Spielarten des Empirismus oder Positivismus verfallen ebenfalls dieser Kritik. "Die durch quantitative Methoden ermittelten sogenannten Tatsachen, welche die Positivisten als die einzig wissenschaftlichen zu betrachten pflegen, sind oft Oberflächenphänomene, die die zugrundeliegende Realität mehr verdunkeln als enthüllen." (Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, S. 84) Der Empirismus ist ein falsches philosophisches Selbstbewusstsein einer richtigen Hinwendung zur empirischen Realität. Zurück zum Anfang des Kapitels
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